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Schätzchen des Monats: Carsten Wiewiorra und der Sammelband „Schwule Architekten“

1. Januar 2024

Die stilvolle Innenraumgestaltung unseres Museums mit dem minimalistischen und doch sehr offenen Schwarzweiß-Design verdanken wir Carsten, der als freischaffender Architekt in Berlin arbeitet und eine Professur an der Detmolder Schule für Gestaltung innehat. Zum Glück für uns ist er ehrenamtlich auch noch im Vorstand des Schwulen Museums tätig, schon einmal von 2011 bis 2015, und aktuell wieder seit 2021. Wir haben uns mit Carsten über die Vorstandsarbeit, die konsequente Gestaltung eines Museums und über queere, menschenbezogene Architektur unterhalten.

 

Lieber Carsten, wir freuen uns: endlich mal ein Vorstandsschätzchen! Ihr arbeitet ja eher im Hintergrund – kannst du dich kurz in den Vordergrund stellen und selbst vorstellen?

Also, ich fühle mich als Berliner, weil ich die längste Zeit meines Lebens hier bin, war immer wieder im Kontakt mit dem Schwulen Museum, zwischendurch aber auch raus, weil ich als Architekt und Innenarchitekt auch viele andere Sachen mache. Nicht nur in Berlin, deshalb pendle ich sehr viel. Viele fragen mich, warum ich so viel mache, aber mich interessieren halt auch so viele Sachen.

Es ist ja ziemlich toll, dass wir einen Architekten im Vorstand haben, der für das Haus selbst einen Plan hat. Du hast das Raumkonzept und das Design entwickelt, als wir vor zehn Jahren in die Lützowstraße gezogen sind, nun gibt es ja schon wieder Pläne, dass wir weiterziehen, also wirst du wieder gebraucht… Bist du eigentlich als Architekt in den Vorstand gegangen, oder gab es einen anderen Berührungspunkt zum Schwulen Museum?

Tatsächlich hat man mich ganz explizit als Architekt gefragt, mich für den Vorstand zu bewerben, das war so um 2010 herum. Vorher war ich schon dabei, neue mögliche Standorte anzusehen. Als Vorstandsmitglied konnte ich die Aufgabe ehrenamtlich übernehmen, aber hatte auch ein besseres Standing gegenüber denjenigen, die uns Angebote gemacht haben. Und weil das Thema akut bleibt und wir wieder einen neuen Ort suchen, bin ich wieder in den Vorstand gegangen…

Und gerade wiedergewählt worden, herzlichen Glückwunsch…

Danke! Ich weiß natürlich auch, was das heißt. Hier sind immer viele Dinge zu tun, und wir sind eigentlich eher weniger für die alltägliche Arbeit da, sondern, um über die Ausrichtung des Hauses nachzudenken, die Netzwerke zu pflegen, um auch wieder nachfragen zu können, was Gelder angeht, um diese für das Haus zu sichern und ranzuschaffen. Wir haben viel schon verstetigt, aber es ist alles nicht so selbstverständlich, wie man immer denkt. Der Regierungswechsel in Berlin hat uns schon erstmal verunsichert, aber letztlich gab es ziemlich viel Support. Und da haben wir es als Museum vielleicht auch etwas einfacher als andere queere Institutionen, weil man „Museum“ sofort versteht, auch wenn man mit „queer“ überhaupt nichts zu tun hat. Aber warum ich hier dabei bin, hat natürlich vor allem damit zu tun, dass ich es wichtig finde, was wir hier machen. Für unsere Community, und da meine ich wirklich alle. Wenn irgendjemand denkt, dass ein schwules Museum selbstverständlich ist in dieser Welt…

Das ist es leider nicht. Hat sich dein Blick auf das Museum eigentlich verändert während deiner Vorstandszeit?

Mir war vorher nicht in allen Facetten klar, was hier inhaltlich eigentlich passiert. Und auch, wie viele Leute hier im Museum arbeiten. Und welche Reputation wir nach außen haben. Wenn man reinwächst, dann sieht man, wo überall etwas nicht klappt, wo zu wenig Personal da ist. Aber der Blick von außen ist: hey, super Institution, total wichtig, einzigartig in der Welt, ihr macht tolle Ausstellungen, habt eine Bibliothek, ein Archiv. Das zeigt sich auch in der Architektur: Das Archiv ist komplett funktionstüchtig, obwohl wir eine komplett improvisierte Klimaanlage haben. Wir versuchen, im Preis-Leistungsverhältnis, mit dem, was uns zur Verfügung steht, das Maximale zu machen. Und das ist ein Spagat, der aber anscheinend immer wieder gelingt

Du hast mal den Satz geprägt, dass „ein konsequentes Haus ein konsequentes Design braucht“. Was ist konsequent am Schwulen Museum?

Vielleicht, dass hier so gar nichts konsequent ist (lacht). Besser gesagt: es ist konsequent, dass wir flexibel bleiben. Und das Konsequente an der Strategie und am Design ist, dass wir eine Linie haben, die das alles zusammenhält. Wir haben uns ja für Schwarzweiß-Kontraste entschieden, das findet sich in jedem Stuhl und jedem Wandanstrich wieder, aber diese Linie setzt eigentlich nur einen Rahmen, in dem alles sehr bunt sein kann und darf.

Wie die rosafarbenen Unisex-WCs…

(lacht) Genau. Ich liebe Brüche und auch das Spiel mit Klischees…

Schwarzweiß ist ja eigentlich etwas Binäres, Unqueeres…

Die Zwischentöne fehlen im Konzept, das ist fast auch wieder wie ein Klischee gesetzt, die Welt ist ja nicht Schwarzweiß. Gut, ich habe jetzt was Schwarzes an, aber du hast was Farbiges an, und da hinten liegt eine rote Decke. Die Zwischentöne werden ausgefüllt, es passt ganz viel dazwischen.

Im Café kann man gerade eine bunte Weihnachtsdeko bewundern…

Ja, das, was ins Haus reinkommt, ist bunt – wir setzen nur den Rahmen dafür. Und das ist ja auch das Konzept des gesamten Museums.

Als wir in die Lützowstraße gezogen sind, ging es ja vor allem um Professionalisierung, die aus dem Zusammengewürfelten und Improvisierten der Anfänge herausführte. Würdest du für einen neuen Standort das Konzept verändern?

Ich glaube, eine Linie zu haben, ist gut. Natürlich sind wir herausgefordert, Dinge anders zu machen. Mehr Veranstaltungsräume zum Beispiel, dafür hatten wir vor zehn Jahren gar kein Geld. Und auch in der Inklusion weiterzugehen, was damals schon ein Quantensprung war – Menschen nicht zu behindern, sondern niederschwellig zu sein, auch in den Ausstellungen und in den Texten. Auch, damit vielleicht diejenigen hier reinkommen, die mit „queer“ gar nicht so viel zu tun haben. Was ja auch passiert. Wir sind vom Hinterhof an die Straße gezogen – und jetzt würde es vielleicht darum gehen, einen Ort zu finden und zu schaffen, an dem noch mehr unterschiedliche Menschen zusammenkommen.

Stichwort Standortsuche. Warum suchen wir eigentlich schon wieder?

Wir sind hier noch nicht an einem Ort angekommen, an dem wir gesichert bleiben können. Das hat mit den Mieten zu tun. Aber ein neuer Ort bedeutet auch ein neues Potenzial. Und anders als vor zehn Jahren sind sehr viele Anbieter an uns interessiert. Es gibt fast niemanden, der uns abweist. Im Gegenteil: Super, wollen wir haben, kommt! Es geht also ‚nur‘ um die Bedingungen, die uns angeboten werden. Und wenn wir schon mal umziehen, warum dann nicht mal an eine 1A-Stadt-Lage, wo viel mehr los ist? Das muss jetzt nicht Unter den Linden sein, sondern gerne da, wo auch noch Kiez ist.

Müssen wir größer werden?

Das denken wir mittlerweile so nicht mehr. Natürlich brauchen wir mehr Platz für das Archiv, die Sammlung wird ja immer größer und braucht bessere Bedingungen. Und wir brauchen Veranstaltungsräume. Ansonsten müssen wir das stabilisieren, was wir haben. Keine größeren Ausstellungsräume, wir kommen sonst mit unseren Ressourcen gar nicht mehr hinterher. Und die Professionalisierung ist zwar gut, aber wir wollen ja auch nicht zum Preußischen Kulturbesitz werden. Es ist gut, dass wir ein Verein sind, dass wir manche Dinge spontaner entscheiden können, flexibler arbeiten, anders sein können. Also: keine Überprofessionalisierung!

Dann kommen wir jetzt mal auf das Schätzchen, das du mitgebracht hast. Was verbindet dich damit?

Mein Schätzchen habe ich selbst hierhergetragen, es ist ein Buch über schwule Architekten…

Geht es darin auch um Frauen?

Genau, wichtige Frage, ich habe ja auch gelernt, seit ich im Museum dabei bin, und habe die Herausgeber auch gefragt: wo sind die queeren, die weiblichen Architekt*innen? Tatsächlich gibt es nur eine lesbische Frau, die darin genannt wird, Emilie Winkelmann, und mit Hildegard Schirmacher auch eine trans Frau. Da bin ich selbst ins Nachdenken über meinen Beruf gekommen: natürlich kann ich als schwuler Mann darin erfolgreich sein, kann unterrichten, und dachte, dass in der Architektur und vor allem in der Innenarchitektur alles allgemein sehr offen ist, aber durch das Buch habe ich gelernt: das stimmt so nicht, erst seit kurzem akzeptiert das Versorgungswerk bei der Rente die gleichgeschlechtliche Ehe. Jetzt im November ist erst die Bezeichnung „Bund deutscher Innenarchitekten“ in „-architektinnen und -architekten“ geändert worden!

Aber es existiert doch zumindest das Klischee, dass es viele schwule Innenarchitekten gibt?

Es gibt auch viele schwule Architekten. Und im Buch sieht man, wie sich persönliche Geschichten in Gestaltung niederschlägt, das finde ich so toll. Zum Beispiel Helmut Hentrich, einer der prägenden Architekten der deutschen Nachkriegsmoderne, der für sich privat aber in den liberalen Niederlanden eine Schlossruine ganz verspielt wieder aufgebaut hat. Frauen wurden erst sehr spät zum Studium überhaupt zugelassen, Emilie Winkelmann konnte nur als Architektin arbeiten, weil sie aus einer Bauunternehmerfamilie kam.

Was könnte man denn eine queere Architektur nennen? Wie schlagen sich denn persönliche Erfahrungen in der Gestaltung nieder?

Es gibt ein paar ganz abgelegene Häuser auf einem Felsen an der Côte d’Azur, da denkt man: wie traumhaft! Aber eigentlich ging es darum, dass niemand Einblick hat und sehen kann, wer da wie zusammenlebt. Oder ich denke an Grundrisse, wo für eine Ménage-à-trois drei Schlafzimmer mit Verbindungstüren entworfen wurden. Oder Penthouses mit versteckten Räumen, oder Schlafzimmer, bei denen, falls jemand kontrollierte, das gemeinsame Bett schnell in einzelne geteilt und in verschiedene Räume geschoben werden konnten.

Aber man kann auch sehen, dass sich queere Architekt*innen, die sich in einem Bereich, der heteronormativ strukturiert ist, besonders beweisen müssen, und das kann auch heißen: fulminante Innenräume, verrückte Sachen, total over the top! Da will man sich eben abgrenzen, alles anders machen als im normativen Mainstream und vielleicht sogar besser und innovativer sein.

Die gestalterische Kontrolle über den eigene Safe Space ausüben!  Kannst du dein Schätzchen in drei Wörtern beschreiben?

Spannend, interessant, queere Kulturgeschichte! Das sind leider vier Worte…

Das macht nichts. Was ist denn queer an deinen eigenen Entwürfen?

(lacht) Also um das Klischee zu bedienen: ich habe mich immer mehr zu einem Innenarchitekten entwickelt. Ich liebe die Freiheit im Gestalten von Innenräumen. Außen redet dir jeder rein, man entwirft im Stadtkontext, innen entwirft man für ganz verschiedene Menschen, das hat einen Maßstab, das fasst man an, nicht so wie eine Fassade. Im Innenraum ist das Menschenbezogene das Wichtigste.

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Vielen Dank für diesen spannenden Einblick!

 

(Interview: Jan Künemund)